Henri Lesewitz
Feine Texte & Fotos

Aus dem Vollen

Bernd Iwanow lebt in der ostdeutschen Provinz. Er fährt nicht Mountainbike. Aber er wollte unbedingt eins erfinden. Die erstaunliche Geschichte des Frace F160, das von einer hungrigen Fräsmaschine in Form genagt wird.

Text und Fotos: Henri Lesewitz


Kurz hinter Pfiffelbach, gefühlte Zehntausend Kurven nach der Autobahnabfahrt, im Irgendwo zwischen den Örtchen Oberreißen und Nieder­reißen, da ahnt der Reporter, dass er einer grandiosen Geschichte auf der Spur ist. Eine, in der alles zusammenfließt, was eine Nachricht zur Story macht. Leidenschaft. Besessenheit. Exzess. Das Bike, von dessen Existenz der Reporter zufällig erfahren hat und das er heute exklusiv erstbesichtigen darf, wäre alleine schon ein Hit: ein aus dem Vollen gefrästes Enduro, das sich auf fast dreiste Art der Norm widersetzt. Doch erst hier, in diesem idyllisch-rauen Ambiente tiefster ostdeutscher Provinz, bekommt das Ganze so einen richtigen Rock’n’Roll-Faktor. Wie kann das sein, dass ausgerechnet hier derart Spektakuläres gefertigt wird? Von einem, der nicht mal Mountainbike fährt? Denn, das wusste der Reporter durch erste Vorrecherchen: Der Macher der Wahnsinnsmaschine ist ein branchenfremder Quereinsteiger.

Frace Bike CNC Mountainbike Custom Fully Made in Germany Um zu zeigen, wie der Alu-Block ursprünglich aussah, puzzelt Bernd Iwanow die Einzelteile noch einmal zusammen. Ein Handy-Foto hilft, die richtigen Positionierung zu finden.


Hardisleben. Rastenberg. Dann im Ortsteil Lossa auf Höhe der Metzgerei Weihrauch links in eine unscheinbare Hofeinfahrt abbiegen. Das Navi vermeldet Zielankunft. Doch nichts deutet auf die CNC Future Technics GmbH hin. Irritierter Blick des Reporters. Da schwingt auch schon die Tür des Hintergebäudes auf, das der Reporter für die Garage des vorgelagerten Wohnblocks gehalten hat. Da steht er. Bernd Iwanow. Ein vor Power sprühender Mittfünfziger. Bluejeans. New Balance. „Frace Bike“, prangt auf der Brust seines grauen Shirts. Das Logo seiner neuen Marke. Im Juni soll der Verkauf des Fullys starten. Die wichtige EFBE-Prüfnorm hat der Rahmen gerade bestanden.

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Mit geschickter Fragestrategie hatte der Reporter vorgehabt, Bernd im Laufe des Besuchs knallharte Antworten auf das Warum und Wieso des so ungewöhnlichen wie durchgeknallten Projekts zu entlocken. Doch der schießt die druckreife Antwort direkt nach dem ersten Hallo ab, noch ehe eine einzige Frage gestellt wurde. „Man muss verrückt sein, um das zu machen!“ Der Reporter zückt den Kugelschreiber. Ost-Biografien bergen immer Interessantes. Deshalb die Story mal ganz von Anfang bitte. Bernd, kommunikativer Typ, plaudert munter drauflos. Zu DDR-Zeiten habe er als Werkzeugmacher im volkseigenen Elektro-Kombinat Robotron gearbeitet, den Job aber im Zuge der Wende verloren. Dann kamen die osttypischen Neustartversuche: Videothek. Getränkehandel. Kneipe. Alles nicht das Wahre. Weswegen er sich wieder dem Thema Metall gewidmet habe. Erst als CNC-Maschinist, dann als Programmierer. Um schließlich vor zehn Jahren die Firma CNC Future Technics zu gründen, mit der er heute unter anderem Teile für die Autoindustrie fertigt.

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„Das hier war mal eine Busgarage“, moderiert Bernd und führt in eine kleine, neon-beleuchtete Halle. CNC-Fräsen, Schneidwerkzeuge, Rohmaterial. Nichts weist auf eine Rahmenfertigung hin. Doch halt, Moment! Ist das Blatt, das da an der Schwenktür der einen Fräse klebt, nicht die Konstruktionszeichnung einer Hinterbauschwinge? Ist es, bestätigt Bernd und lächelt geheimnisvoll. Natürlich hat er was vorbereitet, damit der Reporter etwas zu sehen bekommt. Die Alu-Platte, die der Fräse gleich zum Fraß vorgeworfen werden soll, klemmt bereits in der Maschine. Mit kompetenten Tastenanschlägen tippt Bernd auf dem Bedienmenü den Startbefehl ein. Die Fräse macht sich gierig über das Metall her. Späne fliegen. Kühlmilch spritzt. Es summt, es kreischt. Die Maschine ist eine Hermle C400. Fünf-Achsen-Technologie. Drei Messerköpfe. Acht verschiedene Schaftfräser. Zwei Kugelfräser. 

Drei Stunden lang wird sich das Zerspannungsensemble mit 15000 Umdrehungen pro Minute durchs Metall nagen, um den 20 Kilo schweren Rohling in eine 520 Gramm leichte Hinterbauschwinge zu verwandeln. Für den Hauptrahmen, dessen Basis ein 70 Kilo schwerer Alu-Block ist, braucht die Fräse 24 Stunden.

Frace Bike CNC Fully Made in Germany Custom Bike Der erste Prototype steht fahrfertig im Büro von Bernd Iwanow


„Alles aufs Hundertstel genau“, sagt Bernd. Stolzes Lächeln. Kurzer, verliebter Blick auf das Span-Massaker im Inneren der Maschine. Dann geht es ins Besprechungszimmer.

Und da steht es. Unglamourös hingelehnt an die Wand neben dem Besprechungstisch. Mehr Skulptur als Fahrzeug. Metallisch schimmernde, symbiotisch ineinanderfließende Alu-Profile. Gleichzeitig kantig und smooth. Eine irgendwie splitternackt anmutende, mit allen Sehgewohnheiten brechende 3D-Optik.

Unkreative, aber zwingende Reporterfrage: Wie kommt man auf so etwas? Vor einiger Zeit, erzählt Bernd, habe er den Auftrag für ein Projekt der Fahrradfirma Mifa erhalten. Ein Klapp-E-Bike für den Auto-Kofferraum. Er sei Feuer und Flamme gewesen, Mifa aber leider kurz darauf pleite. „Da habe ich beschlossen, ein eigenes Bike zu bauen.“ Bernd ist kein Biker. Doch er hat diesen eisenharten Willen, der verschwippschwägert ist mit Besessenheit. Zudem kannte er Bike-Enthusiasten, die er fragen konnte. Geometrie. Kinematik. Bernd tüftelte bis tief in die Nacht. Monatelang.

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 „Ich bin da wie ein Blöder. Meine Frau war schon richtig sauer“, lacht er und startet ein Video auf dem Smartphone. Die Sequenz zeigt die erste Testfahrt. Man sieht den Downhill-Rennfahrer, den Bernd angeheuert hatte, von seinem Teufelsritt zurückkommen.

„Kannst stolz auf Dich sein. Tipptopp!“, erklingt die Stimme des Testers. Als er das gehört habe, da habe er das Grinsen nicht mehr aus dem Gesicht bekommen, erzählt Bernd. Eine Reporterfrage noch, die heutzutage ja unbedingt sein muss: Ist das nicht ganz schön viel Abfall, der bei der Produktion entsteht? Nachdenklicher Bernd. So viel Abfall sei es gar nicht, sagt er und schleppt die Reste des Blocks herbei, aus dem die Fräse den Rahmen sauber heraus­filetiert hat. Das Material werde noch für andere Aufträge verwendet, sagt Bernd. Dazu kämen die Pro-Nachhaltigkeitsaspekte wie heimische Produktion, Späne-Recycling und die Nutzung von selbst erzeugtem Solarstrom. Aber klar, ganz klimaneutral sei das Ganze natürlich trotzdem nicht.

Bernds Traum ist es nun, zehn bis zwanzig Rahmen pro Jahr zu fertigen. „Was für eine Hammergeschichte“, denkt der Reporter. Fast zu verrückt, um wahr zu sein. Doch sie trägt sich tatsächlich gerade so zu. In Lossa, nicht weit weg von Oberreißen und Niederreißen, gefühlte Zehntausend Kurven von der nächsten Autobahn entfernt.

Fahreindruck: Frace Bike F 160

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Schon das prüfende Anheben verrät die Schwäche des Frace F160. Die Labordaten zeigen es schwarz auf weiß: 17 Kilo! Für ein Enduro zu viel. Bei diesem Gewicht erübrigen sich Ambitionen auf längere, sportliche Gipfel-Touren. Doch dafür ist das Frace auch nicht gebaut. Es ist eher ein robustes Alltags-Showbike mit Fokus auf kernige Abfahrten. Die aufrechte Sitzposition fügt sich da ins Bild. Der Reach fällt kurz aus für ein Enduro in Größe L. Das Bergaufkurbeln ist eher Mittel zum Zweck. Gut, dass der Hinterbau selbst bei geöffnetem Dämpfer kaum pumpt, was das Erklimmen von Gipfeln zumindest etwas erleichtert. Je steiler der Anstieg wird, desto mehr bremst allerdings das hohe Gewicht. Auch der Körperschwerpunkt muss dann geschickt nach vorne verlagert werden, um der Neigung des Bikes zum Aufbäumen entgegenzuwirken, was vor allem am flachen Sitzwinkel und der damit verbundenen leichten Hecklastigkeit liegt. 

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 Schlängelt sich der Trail flacher dahin, zeigt das Frace durchaus Temperament. Der perfekte Lebensraum des F160 aber, das spürt man bereits beim Dahinpedalieren, sind talwärts führende Trails. Sobald der Kulminationspunkt erreicht ist, ist plötzlich alles perfekt. Durch die aufrechte, leicht hecklastige Position des Fahrers lässt sich das Bike bestens manövrieren. Sogar das eben noch nervige Gewicht sorgt jetzt für Pluspunkte. Das Frace liegt so satt auf dem Trail wie ein E-MTB. Selbst bei hohen Geschwindigkeiten und in rauen Passagen verspringt das Bike nicht, sondern folgt souverän der vorgegebenen Linie. Mit einem besseren Vorderreifen wäre gar noch mehr herauszuholen. Der gut funktionierende Hinterbau schafft den schwierigen Spagat zwischen sensiblem Ansprechverhalten und perfekter Progression. Und auch die Steifigkeit des Rahmens geht in Ordnung, auch wenn der Laborwert von 39 N/mm eher einem unteren Durchschnitt entspricht. Der eigentliche Wow-Effekt aber: Egal, wo man mit dem F160 auftaucht, die Leute starren fasziniert hinterher, als würden sie zum ersten Mal ein Mountainbike sehen.